Donnerstag, 23. April 2015

UnPlugging

.. oder vom Erleben des erwachsenen Ich-Seins

Ich erinnere mich wie meine Grossmutter, oder war es gar meine Mutter? ... wenn sie die Schnauze voll hatte von den Enkeln (oder eben von uns, den Kindern!) oder vom Kochen oder ähnlichen Missgeschicken laut schimpfte: "Jetzt ist aber Sabbat!!"

„Sabbatical“ ist der Anglizismus für einen längere Unterbrechung im gewohnten, in den kapitalistischen Industriestaaten, meist durch geregelte Arbeit, geprägten Lebens.

Abgeleitet vom Sabbatjahr, dem Ruhejahr für das Ackerland, nach 6 Jahren Bebauung wird das Land – in Analogie zum Sabbat als Ruhetag – ein Jahr brach liegen gelassen.
So ist mein Reisename „Foftain“ nichts anderes als der ebensolche Hinweis auf diese selbstverordnete Pause, die Initiierung eines Ende oder einer Unterbrechung und eines Neubeginns.

„Foftain“ ist auf das plattdeutsche Wort für die Zahl „15“ abgestützt.Neben der Bedeutung als Zahlwort hat „Foftain“ im Plattdeutschen noch die des Wortes „Pause“ (15 Minuten-Frühstückspause am Morgen), oder „Ende“ oder „Schluss“.Dies alles kann genauer unter dem LINK im USA `13 Blog nachgelesen werden.

Worum es beim Sabbatical letztlich geht, ist, wie beim Acker ein „Sich-Selber-Überlassen-Sein“ um zu diesem „Selber“ finden zu können. So wie der Acker in dem Ruhejahr mit „nutzlosen“ Pflanzen überwächst, sich mit seinen eigentlichen Bodenbakterien und Kleingetier füllt und vom Nutz- zum Nutzlosland wird, vom Acker wieder zur Erde - zum Eigentlichen - so finde ich, im Sabbatical zum Eigentliche des Menschlichen zurück.


Meine Chefin war erstaunt über den Veränderungsvorgang der sich aus ihrer - sicher sehr eingeschränkten Perspektive gesehen- an mir vollzogen hatte in den Monaten meiner „Auszeit“, wie NEU ich ins Arbeitsleben zurückkehrte, mit wieviel Engagement und Offenheit für Neues.
Aber grade ebendieser Einfluss der Arbeitswelt, der des ewig Funktionierenmüssens, des Perfektseins und sich Einpassens, ist derjenige, welcher während der Auszeit, entfällt, während dieser Zeit des Selberseins. 

Das Alles mag aber ebenso gelten für die anderen "Gewohnheiten" unserer Gesellschaft, als da sind Liebe, Ehe, Kinderkriegen usw. ... wie viele Mütter bereuen es Kinder bekommen zu haben? ... nicht wegen der verpassten Karriere sondern oder auch wegen des verpassten Selber-Seins und damit meine ich nicht Seidenmalereikurse an der Volkshochschule.
(s. #regrettingmotherhood)


Die ersten Kinderjahre sind verschwommen, die schwarzweissen Fotos aus den 50ern fast wie von einem anderen Planeten. Die Zeit in der das „Ich“ reifte dominiert von Erziehung, Kindergarten und Schulbeginn. Die Erinnerung an mich selber sieht einen kleinen, schüchternen Kerl, der einigermassen verpeilt aus der Wäsche guckt … und mich mit ebensolchen Blick von den Fotos anschaut. Nach der Schule kam die Lehre, das Abitur und das Studium.



So stelle ich fest, das mein erwachsenes ICH oder Selbst oder mein Eigentliches sehr wenig Gelegenheit hatte sich selber zu begegnen, sich ohne arbeitseffizienzgeprägenten Druck von Aussen zu entfalten.

Nach den Studium kam das Architektsein, zum Glück abgepuffert durch einen Chef, dessen Lebenshaltung, jedenfalls in den ersten Jahren, der meinen eher ähnlicher als fremd war.
Trotzdem, mit jedem Jahr dünkte mir der Strang um meinen Hals enger zu werden. 


Ich brach irgendwann all das übers Knie, schlug es in Stücke, in nur einem Herbst, im Jahr 2000, begann mit dem neuen Jahrtausend ein neues Leben. Getragen von Fluchtgedanken, der Liebe zu einer Frau und der Sehnsucht nach etwas ... wie es dann auch immer sein würde ... Neuem.

"Wenn doch etwas käme... " ein Mantra "... was mich mit sich nähme"
... und es kam!


Was blieb davon, war ein gescheiterte Ehe, neue Verantwortung in einem neuen Job und wieder ... keine Spur von mir oder einem Selbst oder dem Eigentlichen... keine Therapie, keine Therapieausbildung kann das herbeizaubern ... ich musste selber tun ... und das tat ich zum Glück! 


Mir wird ...jetzt!... im Nachhinein klar, lange nach meiner dreimonatigen USA-Reise, dass ich ausser in der Kindheit, in den raren, von Erziehungsversuchen freien Stunden, die ich mit Lesen oder den Freunden im Wald verbrachte, nie die Gelegenheit hatte nach diesem erwachsenen Selbersein, dem Eigentlich meines Ichs zu schauen, es zu kultivieren, ja, erstmal überhaupt wahrzunehmen und es zu begreifen … den Umgang mit Ihm zu erproben und zu erlernen.

Road to Monument Valley

So erinnere ich mich an die Strasse, die ins Monument Valley führt, durch eine Wüstenlandschaft, trocken und die rote Erde nur durch einen einzigen Fluss durchbrochen, der ebenfalls rot floss, scheinbar fast eilig der saugenden Kraft der Wüste zu entkommen zu wollen, wie ich aus dem Griff des Hamsterrades zu entweichen trachtet. 

San Juan River (Mexican Hat - Utah) 





Ich erinnere mich an den Jazz aus dem Autoradio, die Hitze des Sommers und die Weite des Landes; ... erinnere mich wie ich schrie, im Sitzen während der Fahrt tanzte und mitsang, wilde Töne ausstiess vor Glück über diese Freiheit, die der Eingrenzung durch die immerwährende Effizienzhypnose der Arbeitswelt, des Arbeitsuniversums, so diametral entgegen steht.
Das ist Das was passiert … tatsächlich passiert … im Sabbatical … das ungebändigte Eigentliche.



Eine Freundin nannte mich einen Süchtigen, süchtig nach Reisen, die doch nur eine Menge Geld verschlängen. 
Vielleicht hat sie Recht ... ja süchtig, süchtig wie ein Mann in der Wüste nach Wasser. Aber nicht süchtig nach dem Reisen ... oder nicht nur ... sondern süchtig ... sehnsüchtig nach mir.
         
... und Geld?  
Meine Grossmutter sagte immer: "Das letzte Hemd hat keine Taschen"





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